Kai Merten, Das äthiopisch-orthodoxe Christentum. Ein Versuch zu verstehen.

Kai Merten, Das äthiopisch-orthodoxe Christentum. Ein Versuch zu verstehen, Münster: Lit, 2012, 348 S. = Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte 44. ISBN 978-3-643-11645-1

Der Autor ist evangelischer Pfarrer und Wissenschaftlicher Mitarbeitet für Religionswissenschaft an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Er hat sich seit Jahren mit dem Land befasst und ist mit ihm familiär verbunden (14). Aus dieser Beziehung heraus ist sicherlich auch sein Anliegen und Ziel des Buches entstanden, über die reine Beschreibung des äthiopisch-orthodoxen Christentums hinaus ein Verständnis für die äthiopisch-orthodoxe Art zu glauben und zu leben zu vermitteln. Sein Grundsatz ist in Anlehnung an W.C. Smith: „Keine Feststellung über eine andere Religion ist gültig, wenn sie nicht von Gläubigen jener Religion anerkannt werden kann“ (13).

Für die theologischen Grundlagen des äthiopisch-orthodoxen Christentum hat er vor allem drei unveröffentlichte Lehrschriften von Haddis Yeshanew benutzt. Dieser lehrt am Holy-Trinity-College in Addis Abeba. Des Weiteren war „The Teaching of the Abyssinian Church“ aus dem Jahre 1936 Quelle, die von damaligen Theologen zusammengestellt war (12).

Das Werk widmet sich nach einem einleitenden Teil (Einleitung, Aufbau des Buches, Vorbemerkung zur Umschrift äthiopischer Wörter und geschichtlichem Überblick) in zwei großen Teilen der Vermittlung des Glauben und des Lebens äthiopisch-orthodoxer Christen: „Die Glaubensvorstellungen des äthiopisch-orthodoxen Christentums“ (54-151) und „Das Glaubensleben des äthiopisch-orthodoxen Christentums“ (152-315).

Den ersten Teil beginnt er mit einer ausführlichen Erläuterung der Funktion des Mythos für den Glauben (54-55). Das ist die Grundlegung für die weitere Darstellung, bei der es nicht in erster Linie um historische Untersuchungen zum Glauben geht, sondern darum, wie äthiopisch-orthodoxe Christen ihren Glauben selbst verstehen. So ist es auch konsequent, dass der Autor recht unkritisch über die neun Heiligen, die Äthiopien missioniert haben, spricht. Sie sollen aus Byzanz vor Verfolgung geflohen sein, so traditioneller Glaube. Historiker haben allerdings Zweifel an der Richtigkeit der Darstellung. Der Autor lässt sich auf eine Diskussion der historischen „Richtigkeit“ der Aussage nicht ein, entscheidend ist die Darstellung des Glaubens, der auch in dieser Geschichte zum Ausdruck kommt (59). Ähnlich geht der Autor auch mit anderen historischen Ereignissen im Laufe seines Werkes um.

Andererseits vermittelt der Autor auch einfachste Grundlagen des Glaubensbekenntnisses und des christlichen Glaubens, so dass auch für die wachsende Zahl der Leser, die in keiner Weise mit den christlichen Glaubensgut vertraut sind, grundlegende Erläuterungen für den christlichen Glauben in Äthiopien gegeben werden. Hiernach erfolgen spezifische Informationen zum äthiopisch-orthodoxen Glauben (57-63; 63-65). So werden die Aspekte der Glaubensvorstellung in drei Kapiteln dargestellt: Die Lehre (mit Glaube, Einfluss des Alten Testaments, Heiligenverehrung und Volksglaube) (57-122). Im Kapitel „Die Mythen und Legenden“ stellt er die beiden Werke Kĕbrä Nägäśt und das äthiopische Henoch-Buch vor. (123-143). Es folgt die Darstellung der ethischen und sozialen Vorstellung in den beiden Abschnitten „Sozialethik und Individualethik“ (144-147).

Der zweite Teil behandelt das Thema in fünf Kapitel: Riten und Praktiken (Festkalender, Gottesdienst, Tod und Bestattung, Mönchtum) (154-199); die religiösen Erfahrungen und Gefühle (Mystik und religiöse Empfindungen) (200-209); die Institutionen (Gotteshäuser, organisatorische Aufbau, Kirchenschulen) (210-244); Symbolik (Kunst, Kirchenmusik) (245-256); das Verhältnis zu anderen Religionen und Konfessionen (Religion der Oromo, äthiopisches Judentum, äthiopischer Islam, katholische Kirche, evangelische Kirchen, ökumenische Bewegung, äthiopisch-orthodoxes Christentum im Ausland) (257-315).

Es folgen eine Schlussbetrachtung und ein Literaturverzeichnis. Im Anhang sind ein Glossar ein Register und eine Übersichtskarte von Äthiopien.

Der Autor bietet eine umfassende Darstellung der Glaubenswelt der äthiopisch-orthodoxen Christen. Es ist ein einfühlsames Nachvollziehen der Glaubensvorstellungen. Er geht nicht auf theologische oder historische Auseinandersetzungen mit dem Glauben ein. Das ist auch ausdrücklich nicht sein Ziel. So schreibt der Autor zum Kapitel „Die religiösen Empfindungen“ (204-209): „In diesem Sinn sind die folgenden Ausführungen zu lesen, die über dies nicht in erster Linie auf gelehrte Erkenntnisse oder repräsentative Umfragen, die auch anderswo nachzulesen wären, zurückgehen, sondern die vielmehr auf persönlichen Erfahrungen und Eindrücken in Äthiopien sowie auf Gespräche mit äthiopischen Christen beruhen“ (204). Dies gilt zwar für das Kapitel, aber es kann mutatis mutandis auf die übrigen Teile des Werks angewendet werden.

Für welche Lesergruppe ist diese Buch geeignet? Weniger für den Äthiopisten, Theologen oder Historiker, eher für Leser, die sich einen ersten Eindruck von den Christen in Äthiopien verschaffen wollen, oder auf einer Reise dieser Glaubenswelt begegnet sind und sich im Nachhinein darüber informieren wollen. Es ist ein Lesebuch, kein Nachschlagewerk. Eine Bebilderung hätte die Intention des Autor unterstützen können, die faszinierende Welt des äthiopischen Christentums näher zu bringen. Dass ein solches Werk in der Reihe „Studien zur orientalischen Kirchengeschichte“ erscheint, erfordert eine relativ großzügige Auslegung des Begriffs Studien.

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