Christen in Zentralasien

von

Wassilios Klein

zuerst veröffentlicht in: Einleitung in die Missionsgeschichte, Tradition, Situation und Dynamik des Christentums, hrsg. v. Karl Müller u. Werner Ustorf, Stuttgart: Kohlhammer 1995 (Theologische Wissenschaft 18), 121-130.

Die ostsyrische Mission

Die Ausbreitung in Zentralasien und China

Die Grenze zwischen dem Römischen oder Byzantinischen Reich und dem feindlichen Persien bildete für die Ausbreitung des Christentums nach Ostmesopotamien kein Hindernis. Doch die zoroastrischen Sasanidenherrscher konnten die Kontakte ihrer christlichen Untertanen mit ihren seit der Konstantinischen Wende unterstelltermaßen kaisertreuen Glaubensbrüdern im Westen nur mit Mißtrauen beobachten. Der römische Kaiser verstand sich nun als Schutzherr aller Christen, so daß sich die persische Christenheit gezwungen sah, dem Großkönig ihre Loyalität zu beweisen. Die entscheidenden Schritte dazu fallen ins 5. Jh., indem 410 die Bistümer des Perserreiches hierarchisch gegliedert und als Oberhaupt ein Katholikos mit Sitz in Seleukeia-Ktesiphon bestimmt wurde, 424 eine Appellation außerhalb des eigenen Bereichs, etwa beim Patriarchen von Antiocheia, verboten und 484 die nestorianische Christologie offiziell akzeptiert wurde. Neben den organisatorischen war nun der dogmatische Sonderweg der „Perserkirche“ getreten. Letzteres war um so leichter gefallen, als die eigene Theologie in derselben antiochenischen Tradition wie die des Nestorios stand. Der Glaubwürdigkeit vor dem Großkönig war der Alleingang zwar dienlich, beschnitt aber die Möglichkeiten für eine intensive Zusammenarbeit mit dem Westen. So ist es zu verstehen, daß die Perserkirche neben Missionsbemühungen in Süd- und Ostarabien und Südindien ihren Blick nach Osten richtete.

Der Grabstein (vermutlich 13./14. Jh.) ist im Hermitage-Museum, Sankt-PeterburgDas Christentum gelangte zunächst ohne Planung vornehmlich durch syrische und persische Kaufleute nach Osten. Das verzweigte Wegenetz der Seidenstraße erschloß alle wichtigen Regionen Zentralasiens nicht nur für den Warenaustausch, sondern auch für die Ausbreitung der Religionen und Kulturen. In dieser polyglotten und multireligiösen Umwelt mußten die Nestorianer ihren Glauben etablieren. Der Anfang wurde in den Städten mit Stützpunkten gemacht, die von nestorianischen Händlern gegründet wurden. Ihnen folgten zur geistlichen Betreuung Priester und Mönche, so daß sich kleine Kerngemeinden bildeten, die gerade durch das konsequente Vorbild der Mönche Anhänger in der einheimischen Bevölkerung gewannen. Die Handelsmetropole Merw besaß seit dem 4. Jh. eine Gemeinde und wurde bald zur Metropolie erhoben, so daß schon sehr früh ein weit östlich der syrischen Lande befindlicher Vorposten für die Mission bestand. Das Bistum Herat machte bereits Ende des 5. Jh. die Bekehrung von Teilen der Hephthaliten möglich. Im Osten gelangte die Mission über Buchara und Samarkand bis an den Balchasch-See. Im 8. Jh. gab es einen nestorianischen Fürsten in Kaschgar, Nestorianer in Khotan, im Norden in Bai und in Tibet, wie Inschriften Durchreisender bei Drangtse zeigen. In dieser Zeit wurden auch Choresm und Sogdien erreicht, bis dahin Bastion des Zoroastrismus, und die dort bekehrten Sogdier halfen als Kaufleute in Merw, West- und Ostturkestan, der Mongolei und China bei der Verbreitung des neuen Glaubens. Für die weitere Ausbreitung ist der Katholikos-Patriarch Timotheos I. (780-823) von größter Bedeutung, da er die Mission systematisch zu organisieren suchte. Er sorgte für die theologische und sprachliche Ausbildung von Missionaren. Er weihte außerdem Bischöfe für die Ostgebiete, so auch für Tibet, in dessen besetzten Gebieten Zentralasiens der Nestorianismus Eingang gefunden hatte. Er wurde jedoch alsbald wieder unterdrückt. Im Norden des Issyk-kul, nämlich im Ili-Tal und im Gebiet von Semirjetschie im Siebenstromland südlich des Balchasch-Sees, wurden nestorianische Friedhöfe mit Hunderten von Grabsteinen gefunden. Im Osten des Tarim-Beckens konnte bei den Uiguren eine Metropolie eingerichtet werden. Anfang des 11. Jh. wurden angeblich 200.000 Kerait-Türken südlich des Baikal-Sees mit ihrem Chaqan getauft. Sie leisteten der Mission großen Vorschub, indem sie selbst das Evangelium verkündeten, mit beträchtlichem Erfolg vor allem bei den Nachbarstämmen wie den Naiman. Die mongolische Hauptstadt Qaraqorum lag im Gebiet der bekehrten Stämme. Die Bischofssitze wurden noch weiter ausgebaut. So erhielten die Chalatsch am Oberlauf des Oxus eine eigene Metropolie.

Die durch Dschingis Khan völlig zerstörten Städte Merw, Buchara, Samarkand und Taschkent konnten sich wieder erholen. Sogar in der Mandschurei gab es im 13. und 14. Jh. Gemeinden bis hin zur Küste. Die Tanguten und Öngüt, welche seit Dschingis Khan durch Eheschließungen mit dem mongolischen Herrscherhaus verbunden waren, erhielten nun eigene Metropoliten. Die Verhältnisse waren so günstig, daß zwei Mönche aus der Gegend von Khanbaliq eine Pilgerreise ins Heilige Land unternahmen. Der ältere, Rabban Sauma, wurde als Gesandter des Ilkhan Arghun 1287 nach Konstantinopel, Rom, Paris und zum englischen König geschickt, um für einen gemeinsamen Kreuzzug gegen die Mamluken zu werben. Der jüngere vom Stamme der Öngüt, Markos, wurde zum Katholikos-Patriarchen Yahballaha III. (1281-1317) gewählt trotz ungenügender Syrischkenntnisse, was zeigt, welche Bedeutung die Missionsgebiete für das syrische Kernland gerade unter der Mongolenherrschaft erhalten hatten. Am Höhepunkt ihrer Ausdehnung angelangt, soll die „Kirche des Ostens“ 27 Metropolien, 230 Diözesen und mehrere Millionen Gläubige gezählt haben. Dennoch gab es nur wenige, geschlossene Siedlungsgebiete der Nestorianer. Der Aufstieg endete mit dem Ilkhan Ghazan (1295-1304), unter dessen Herrschaft die Mongolen in Persien islamisiert wurden. Nun setzte eine unduldsame Unterdrückung ein. Zudem zerfiel das Mongolenreich, so daß die Verbindung der Gemeinden untereinander unmöglich wurde. Die Folgen der Schwarzen Pest und die Zerstörungswut Timurs († 1405) besiegelten Ende des 14. Jh. den raschen Untergang der Minderheitenreligionen in Zentralasien. Die Nestorianer mußten sich ins Bergland Nordmesopotamiens zurückziehen, wo sie bis heute um ihr Überleben kämpfen.

Begünstigt durch die weite Ausdehnung des T’ang-Reiches nach Westen erreichte 635 der Mönch A-lo-pen die Hauptstadt Si-an-fu (Ch’ang-an). Schon 638 empfahl der Herrscher Taitsung den Nestorianismus seinen Untertanen und erlaubte die freie Ausbreitung im Reich. Eine monastisch geprägte Organisation wurde begründet und durch Zuzug aus Persien ausgebaut. Übersetzungen der mitgeführten Literatur ins Chinesische dienten der Mission der Einheimischen. Im 8. Jh. gab es eine eigene Metropolie mit Klöstern und Gemeinden in vielen Landesteilen. China wurde nun selbst zum Ausgangsgebiet der Mission Zentralasiens, in welches sein Territorium ja auch hineinreichte. Dieser politische, wirtschaftliche und religiöse Zusammenhang blieb, wenn er auch Wandlungen unterworfen war, im Mittelalter bestehen, weshalb die nestorianische Chinamission nicht von der Zentralasiens zu trennen ist. Die „(Syrische?) Leuchtende Religion“, wie der Nestorianismus hier offiziell hieß, blieb allerdings vom syrischen Klerus abhängig und wurde deshalb von einem kaiserlichen Edikt 845 hart getroffen, das sich gegen alle Fremdreligionen richtete. Die monastische Struktur in China wurde durch das Gesetz, daß alle Mönche und Nonnen ins bürgerliche Leben zurückkehren müßten, in den Grundfesten erschüttert. Doch in der 2. Hälfte des 11. Jh. trafen wieder Missionsgesandtschaften aus Bagdad am Hofe der Sung -Dynastie ein. In Nordchina fand das Evangelium wohl Zugang in die einheimische Bevölkerung, gelangte es doch von da aus zu den Gründern des Qara Chitai-Reiches im Tarim-Gebiet und ermöglichte dort eine neue Blüte.

1215 begann mit dem Einmarsch Dschingis Khans eine neue Periode. Der Schwerpunkt der Gemeinden lag im Bereich Khanbaliq (Peking) und Si-an-fu, doch auch an der Süd-Küste in Zaitun scheint es um 1300 einen Bischof gegeben zu haben. Klöster gab es am Hwang Ho ebenso wie im Gebiet des Yangtze Kiang. Das Erstarken des Nestorianismus bis zur Vertreibung der Mongolen durch die fremdenfeindliche Ming-Dynastie ab 1368 darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß er in China trotz aller Anpassungsversuche und chinesischer Konvertiten nicht heimisch geworden und immer der Glaube der Fremden geblieben ist.

Organisation

Die Inkulturation in Zentralasien wurde durchaus nicht vereinfacht durch die Tatsache, daß Asiaten bei Asiaten missionierten. Die kulturellen und religiösen, überhaupt die mentalitätsmäßigen Unterschiede zwischen Syrern, Iranern, Türken, Mongolen und Chinesen waren doch beträchtlich. Die Mission traf in der Regel auf Angehörige verschiedener Völker, Kulturen und Religionen, und die Gemeinden waren dünn über riesige Gebiete verteilt. Die Organisation mußte dem Rechnung tragen. Sehr förderlich war z. B. die Bestimmung, daß die Priester verheiratet sein mußten. Diese Regelung erlaubte die Einsetzung vieler Missionare, die selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen und als Händler weite Gebiete bereisen und seelsorgerisch betreuen konnten. Daneben kommt aber auch den Mönchen eine wichtige Funktion zu. Sie richteten im Gefolge der Kaufleute überall Klöster ein, in denen konsequent gelebter Glaube durch sein Beispiel viele anzog. Nach innen wirkten die zahllosen Klöster als Schulen für den einheimischen Klerikernachwuchs. Neben Einsiedlern wie dem erwähnten Rabban Sauma (13. Jh.) und den in Klostergemeinschaft lebenden Mönchen waren die Wandermönche für die Mission wichtig. Die Konkurrenz der manichäischen Electi und vor allem der buddhistischen Mönche mag die Ernsthaftigkeit ihrer Bemühungen unterstützt haben. Als weitere missionsfördernde Maßnahme erhielten die Metropoliten „des Äußeren“ im 6. Jh. das Recht, nach eigenem Ermessen Diözesen einzurichten oder aufzuheben. Dies ermöglichte auch in Zeiten, in denen die Verbindung zum Katholikos unterbrochen war, ein der Situation angemessenes Handeln. Katholikos Timotheos I. lockerte zudem die Bestimmungen für die Bischofsweihe. Der Kandidat brauchte nicht mehr vom Katholikos geweiht zu werden. Es genügten zwei statt drei Bischöfe zur Weihe, und die Reise zwecks Bestätigung nach Seleukeia-Ktesiphon konnte unterbleiben. Dennoch war es eher nur der niedere Klerus, der sich aus der autochtonen Bevölkerung rekrutierte. Die Bischöfe der Ostgebiete brauchten nicht mehr zu den Synoden nach Mesopotamien zu reisen. Briefliche Berichterstattung alle 6 Jahre genügte. Andererseits waren ihre Rechte bei der Katholikoswahl beschränkt. Den Wanderungen der Nomadenvölker wurde dadurch Rechnung getragen, daß ihr Metropolit dem Volk und nicht einem festen Ort zugeteilt war. Diese vielseitige und flexible Organisation hat es denn auch ermöglicht, daß das Evangelium im Dorf wie in der Stadt, bei Nomaden und Seßhaften, bei unteren sozialen Schichten wie bei Khanen und zahlreichen Trägern höchster Staatsämter heimisch wurde. Die Bedeutung der nestorianischen Frauen an den Höfen der Mongolenkhane auf die Mission ist nicht zu unterschätzen.

Die zahlreichen syrischen, sogdischen, uigurisch-türkischen, chinesischen, mittel- und neupersischen Textfunde (Turfan, Dun-huang u. a.) aus fast allen von der christlichen Literaturgeschichte bekannten Gattungen, darunter auch Bilinguen, geben Auskunft über die Beziehungen zum Christentum in Byzanz und Ägypten. Für die Frage der Mission ist das Verhältnis der Sprachen zueinander allerdings interessanter. Das Syrische blieb offizielle Kirchensprache und wurde mindestens in wichtigen Liturgieteilen verwendet. Dies bot den Vorteil, daß die Verbindung und das Zusammengehörigkeitsgefühl der verstreuten Gemeinden untereinander und mit der Mutterkirche bestehen blieb und daß die Reisenden in anderssprachigen Gemeinden Vertrautes vorfanden. Der Nachteil war, daß das Syrische im Osten eine Fremdsprache darstellte. Dem steht die ergänzende Verwendung der Landessprachen gegenüber, welche teilweise erst durch die Syrer zur Literatursprache erhoben wurden. Es wurde also der Versuch gemacht, dem Universalanspruch wie auch dem Bedürfnis der Ortsgemeinden gleichermaßen gerecht zu werden.

Das Verhältnis zu konkurrierenden Religionsgemeinschaften

Das Zusammenleben der Nestorianer mit den anderen Religionsgemeinschaften gestaltete sich unterschiedlich. Im mesopotamischen Kernland war der Katholikos bestrebt, die Vorherrschaft ber die dyo- und diplophysitischen Jurisdiktionen zu erhalten. So hatte ab dem 11. Jh. allein er das Recht, in Bagdad, also in unmittelbarer Nähe zum Herrscher, zu residieren, und er war für die zivile Gerichtsbarkeit der Angehörigen aller Konfessionen zuständig. Zu leiden hatte das Katholikat allerdings durch die Einmischungen in die inneren Angelegenheiten seitens der Kaliphen, die ab Ende des 10. Jh. sogar offiziell den Katholikos bestimmten. Auch bestand ständige Rechtsunsicherheit und die Gefahr von Repressalien. Über das Nebeneinander der Konfessionen in Zentralasien berichten die Franziskaner in der Mongolenzeit. Für das 13. Jh. wird das Bild einer gegenseitigen Hilfsbereitschaft von Alanen, Armeniern, Georgiern, Griechen, Russen, Ungarn, Franzosen und Deutschen entworfen, die offenbar von einem gewissen Zusammengehörigkeitsgefühl gekennzeichnet war. Daneben fanden sich aber auch Neid, Intrigen und kleine Rivalitäten. Belastender wirkten sich jedoch die Bekehrungsversuche von Seiten der Westsyrer und Katholiken aus.

Ab der Jahrtausendwende sind die Turkvölker und Mongolen als Hauptträger ostsyrischer Mission in Zentralasien anzusehen. Hier bestand die Konkurrenz nicht nur zu den anderen Universalreligionen, sondern in noch größerem Maße zum Schamanismus, der als religiöse Praxis in Form von Einflußnahme auf gute und böse Geister für die Bewältigung des Alltags im Leben dieser Völker allgegenwärtig war. Seine diesseitige Ausrichtung stellte der Annahme einer Erlösungsreligion und dem Glauben an einen höchsten Gott nichts entgegen, was freilich allen Universalreligionen den Weg ebnete. Die Masse der türkischen und mongolischen Nestorianer sah deshalb nichts Verwerfliches darin, neben der Universalreligion, zuständig für jenseitige Erlösung, sich weiterhin für diesseitige Anliegen schamanistischer Praktiken und der Schamanen zu bedienen. Die Problematik ist darin zu sehen, daß die christlichen Inhalte nur teilweise angenommen wurden. Von den Hilfen des Christentums für die Bewältigung des alltäglichen Lebens wie von dem ihm als prophetischer Religion eigenen Absolutheitsanspruch, für den die Turkvölker und Mongolen auch in äußerlich toleranter, d. h. friedlich vorgetragener Form kein Verständnis hatten, wurde abstrahiert. Darin lag, obwohl zu Beginn der Mission gerade dies hilfreich war, die Ursache für das Erlahmen des bei Syrern und Iranern noch so lebendigen Missionseifers, der unter den Mongolenkhanen zudem wegen des „Toleranzgebots“ auch kein Betätigungsfeld mehr hätte finden können. Auch war der Bildungsstand der Kleriker so weit gesunken, daß es zu der für die Identität einer jeden Religion notwendigen Abgrenzung nicht in hinreichendem Maß kam. Die Synodalbeschlüsse des Kernlandes bezüglich der Mischehen, der Anwendung von Magie, der Begräbnisbräuche, der Fasten- und Speiseregeln wurden keiner Beachtung mehr gewürdigt. Ein solches, bereits innerlich verändertes „Christentum“, das „seine eigenen Grenzen nicht kannte“ (W. Hage: Religiöse Toleranz, 108) und keineswegs reflektiert diese weitgehende Anpassung vornahm, blieb im Leben des Einzelnen jederzeit austauschbares Beiwerk. Es ist dabei zu beachten, daß nicht eine religiösen Pluralismus zulassende Toleranz oder profane Staatsauffassung, auch nicht Gleichgültigkeit die Mongolenkhane bestimmten, sondern der Glaube, daß der „Ewige Himmel“ sich auf unterschiedliche Weise manifestieren könne. Den Großkhanen war es folglich nur recht, wenn möglichst viele Religionen für sie beteten. Hinzu kam besonders für die Ilkhane als politischer Grund die gemeinsame Abwehrfront gegen die moslemischen Feinde im Westen. Eine Änderung trat mit der Islamisierung der westlichen Mongolen ein. Zwar zwang die Vorherrschaft des Islam, die spätestens ab dem 9. Jh. in Transoxanien errichtet war, die Nestorianer als Bürger zweiter Klasse schon früher zur Zurückhaltung bei der Mission, was insbesondere in Choresm und Sogdien eine die Gesamtbevölkerung erfassende Evangelisierung vorzeitig unterband. Aber die islamisierten Mongolen wurden über das gewohnte Maß hinaus intolerant. Dieser Gewalt, die sich bis West-Turkestan auswirkte, und dem Herrschaftsantritt der Ming-Dynastie in China konnte das durch Synkretismus aufgeweichte Nestorianertum innerlich nichts mehr entgegensetzen. Zu den Konkurrenten, die die Mission erschwerten, gehörte der Manichäismus. Seine Ausbreitungsgeschichte verläuft in Zentralasien parallel zu der der Ostsyrer. Er gab sich als das wahre Christentum (und als wahrer Buddhismus) aus. Er trat auf mit dem Anspruch der richtigen Evangelienexegese, und Mani hatte sich als der von Christus verheißene Paraklet und als Apostel Christi ausgegeben. Manch christlicher Erzählstoff wurde von den Manichäern aufgenommen und umgekehrt. Ihre Übersetzungsliteratur war der nestorianischen in der Gewandtheit der Sprachbeherrschung und der künstlerischen Ausstattung überlegen. Ein weiterer Vorteil war die zeitweise nicht unbedeutende staatliche Förderung, so daß die Zahl der Anhänger größer war als bei den Nestorianern.

Der Buddhismus war in Form mehrerer Schulen ins Tarim-Becken und nach China gelangt und übertraf zahlenmäßig Nestorianer und Manichäer um ein Vielfaches. Die sogdischen Schriften der Nestorianer zeigen ein Bemühen um Abgrenzung. Dagegen weisen die alttürkischen Texte gelegentlich Übernahmen von buddhistischen Begriffen oder Inhalten, wie z. B. der Verdienstübertragung, auf. Vor allem chinesische Schriften bedienen sich der buddhistischen Begrifflichkeit. In der Kunst wurde beispielsweise die Lotosblume, das Symbol der Reinheit, als Basis für das Kreuz übernommen. Dennoch, die Grundwahrheiten christlichen Bekenntnisses im Sinne der Ostsyrer sind bewahrt.

Die griechisch-orthodoxe Mission (Patriarchat Antiocheia)

Melkiten, also chalkedontreue Christen des Patriarchates Antiocheia, wurden von den Sasaniden insbesondere 540 von Antiocheia und Nordsyrien nach Seleukeia-Ktesiphon bzw. die für sie angelegte Siedlung Rumiya umgesiedelt. Neue Gefangene kamen Anfang des 7. Jh. hinzu. Ihre Zahl muß so bedeutend gewesen sein, daß es sich lohnte, eine Metropolie in Seleukeia-Ktesiphon zu gründen. Wegen der Schwierigkeit, die Verbindung zum Patriarchat aufrecht zu erhalten, wurde sie zum „Katholikat von Romagyris“ aufgewertet, was in organisatorischen Fragen ein selbständiges Handeln erlaubte. Dies soll nach 762 geschehen sein, als Kaliph al-Mansur Seleukeia-Ktesiphon und Rumiya zerstört und die Metropolie mit ihren Gläubigen nach Schasch (Taschkent?) verbannt haben soll. Damit war der Schritt nach Zentralasien getan. Im 10. Jh. wollten die Bagdader Melkiten die Verlegung des Katholikats nach Bagdad durchsetzen. Die Folgen der Umsiedlung waren also offensichtlich überwunden und die Stärke der Gemeinden Mesopotamiens groß genug, einen so selbstbewußten Wunsch anzumelden. Da sich die transoxanischen Christen widersetzten, wurde schließlich ein zweites Katholikat von Bagdad oder Eirenoupolis eingerichtet, das im Rang niedriger stand als das von Romagyris, welches seinerseits unmittelbar dem Patriarchat (!) folgte. Zusätzlich zum Katholikos sind im 11. Jh. Metropoliten bezeugt. Bis ins 11. Jh. hören wir von Gemeinden in Merw und Nischapur, und noch im 13. Jh. ist der hohe Rang des Katholikos von Romagyris erhalten. In einigen Fällen wissen wir, daß die Katholikoi vom Patriarchen von Antiocheia geweiht und entsandt worden sind, also wie der hohe Klerus der Nestorianer nicht der autochtonen Bevölkerung entstammten. Die Gläubigen haben sich wohl überwiegend aus Sogdiern rekrutiert. Als Sprache der in Byzanz üblichen Liturgien ist das Sogdische anzunehmen, doch angesichts der syrisch-, griechisch- und arabischsprachigen Zuwanderer und der Verbreitung ber Khorassan, Choresm, Sogdien und Transoxanien sowie Gläubigen im Turkvolk der Oghusen sind auch andere Liturgiesprachen denkbar. Noch im 14. Jh. ist von Melkiten in Samarkand die Rede. Ein Vordringen bis Chinesisch-Turkestan kann als bewiesen gelten. Um 1365 gibt es keinen eigenen Katholikos von Romagyris mehr. Seinen Titel trägt der Katholikos von Georgien. Man muß davon ausgehen, daß aus ähnlichen Gründen wie bei den anderen religiösen Minderheiten auch die Melkiten weitestgehend verschwunden waren. Zwar ist insgesamt zur melkitischen Mission noch einige Forschungsarbeit zu leisten, aber es zeigt sich bereits, daß auch die chalkedonensische Orthodoxie ohne staatliche Unterstützung und politische Absichten Mission in Zentralasien betrieben hat.

Die römisch-katholische Mission

Die römisch-katholische Mission erreichte Zentralasien und China nach dem Konzil von Lyon 1245, das zwecks Friedenssicherung die Bekehrung der mongolischen Herrscher und die Union, d. h. die Unterstellung unter den römischen Jurisdiktionsprimat aller auf dem Weg zum Großkhan angetroffenen „Schismatiker“ anstrebte. Die Franziskaner Johannes von Plano Carpini und danach Wilhelm von Rubruk waren die ersten Gesandten des Papstes, die nicht nur die Ilkhane, sondern selbst die Großkhane in Qaraqorum um die Mitte des 13. Jh. erreichten. Der Großkhan Güyük lehnte eine Taufe ab und verwies auf seine eigenen Universalansprüche sowie die Gnade Gottes, in der er sich angesichts seiner Erfolge ohnehin befinde. Nach diesen ersten Sondierungen ist der Franziskaner Johannes von Montecorvino (1247-1338) als erster Missionar entsandt worden. Ab 1294 wirkte er in Khanbaliq, baute dort zwei Kirchen, übersetzte Teile der Bibel und liturgische Texte, kaufte 40 Knaben, die er sorgfältig ausbildete, und taufte ca. 6 000 Menschen. 1308 wurde er Erzbischof und setzte einen Bischof für Zaitun ein. Mehr Erfolg als bei Qubilai Khan hatte er bei dem nestorianischen Öngüt-Fürsten Georg, dessen Beispiel viele folgten. Doch nach dem Tod Georgs 1299 kehrten die Übergetretenen zum Nestorianismus zurück. Es waren vorwiegend Nestorianer und orthodoxe Alanan, die „missioniert“ wurden. Die Nestorianer reagierten darauf mit der Verweigerung jedweder Hilfe. Dennoch erfreute sich Johannes großer Beliebtheit und hohen Ansehens. Sein Bistum blieb nach seinem Tod mehrere Jahre verwaist. In Almaliq wurden die Franziskaner von Moslems getötet, und die einfachen Gläubigen mußten zum Islam übertreten. So endeten die Bemühungen so plötzlich, wie sie begonnen hatten. Der Versuch einer bei den Herrschern begonnenen Mission mußte beim Wandel der Politik scheitern. So hat auch dieser Weg keine die Islamisierung der West-Mongolen bzw. die Vertreibung der Ost -Mongolen aus China überdauernde Mission ermöglicht.

Die russisch-orthodoxe Mission

Die Kolonisierung Sibiriens im 17. Jh. bot seit Timur erstmalig eine neue Basis für Missionsversuche. 1620 wurde das erste Erzbistum knapp jenseits des Ural eingerichtet, in Tobolsk. Von dort aus war es Metropolit Filofej Leščinskij, der bis zu seinem Tod 1727 tausende Angehörige verschiedener sibirischer Stämme getauft hat. Die Priester und Mönche, die kamen, waren jedoch zu wenige und in keiner Weise auf ihre Aufgabe vorbereitet. Jegliche Unterstützung aus Rußland blieb aus. Filofejs Werk war zu ungefestigt, als daß es seinen Tod hätte überdauern können. In Ostsibirien wurde als Missionszentrum für den Osten Irkutsk von Tobolsk 1727 in die Selbständigkeit einer Metropolie entlassen. Die ersten Bischöfe dort konnten trotz aufrichtiger Bemühungen wenig erreichen. Lange Vakanzen unterbrachen jede Kontinuität der Arbeit. Massentaufen ohne nachfolgende Betreuung hatten Massenapostasie zur Folge. Wirtschaftliche Privilegien als Anreiz konnten daran wenig ändern. Die Dauerhaftigkeit der Missionserfolge war zumeist davon abhängig, ob die Neubekehrten sich an Gemeinden russischer Siedler anlehnen konnten. Im 19. Jh. kam es zu einer Erneuerung der Missionsbewegung in Rußland, in deren Gefolge die Verwendung der örtlichen Sprache, die Notwendigkeit andauernder Glaubensverkündigung, Schulunterricht für die Kinder und das Verteilen von Bibeln in der Volkssprache als notwendige Maßnahmen erkannt wurden. Gestalten wie der A rchimandrit Makarij Glucharew (1792-1847), der für die von ihm bekehrten und einzeln mit Katechese vorbereiteten Altai-Türken geschlossene Siedlungen schuf zur Verhinderung der Apostasie, der Klöster, Schulen und ein Krankenhaus gründete, der nach umfangreichen Sprachstudien Liturgie- und Bibelübersetzungen anfertigte und so für eine tiefere Verwurzelung des Christentums sorgte, sind beispielhaft und fanden viele Nachahmer. Die im 17. Jh. begonnene Altai-Mission zählte zum Ende des 19. Jh. 25 000 Bekehrte mit 188 christlichen Orten und 48 Schulen mit muttersprachlichem Unterricht. Neue Bistümer wurden geschaffen. Der wohl größte Missionar der orthodoxen Kirche Rußlands war Innokentij Venjaminow (1797-1879). Seine Arbeit ist durch verständnisvolles Eingehen auf die Bevölkerung, Sorge um die Verwurzelung des Glaubens, Zurückhaltung bei Massentaufen und Heranbildung geeigneten Nachwuchses gekennzeichnet. Als Metropolit von Moskau bemühte er sich noch in hohem Alter darum, die Mitverantwortung jedes Einzelnen für die Mission zu verdeutlichen. Im 19. Jh. wurden noch einige Missionsgesellschaften gegründet, deren Tätigkeit jedoch nach der Oktoberrevolution das Verbot jeder religiösen Propaganda ein Ende setzte. Viele Missionsgemeinden und -bistümer haben aber die Zeit der Prüfung überdauert. So hat sich auch bei den Russen gezeigt, daß Mission immer dann dauerhaft war, wenn sie systematisch mit kontinuierlicher Betreuung der Gläubigen durch eine genügend große Zahl von geeigneten Klerikern durchgeführt worden ist. Hemmnisse waren der Nationalismus wie in Form der oft mit der Mission einhergehenden Russifizierungspolitik, gegen die sich gelegentlich nativistische Bewegungen wie der Burkhanismus im Altai-Gebiet richteten, mangelnde Sprachkenntnisse und das schlechte Vorbild der Kolonisatoren.

Literaturauswahl

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